Lesben mit behinderung

… in der Lesbenbewegung

An der Selbstorganisierung und Interessensvertretung von Frauen/Lesben mit Behinderung, z.B. in den Zentren und Initiativen für selbstbestimmtes Leben, führt kein Weg mehr vorbei. Mit legendären Aktionen auf dem Lesbenfrühlingstreffen (LFT) und der Berliner Lesbenwoche haben sich Lesben mit Behinderung ihren Raum auch bei Lesbenveranstaltungen erkämpft. Ein Lesbenfrühlingstreffen ohne z.B. rollibefahrbare Räume oder Gebärdendolmetscherin ist nicht mehr vorstellbar. (Allerdings: Der Aufschrei unter den nichtbehinderten Frauen war eher verhalten, als das Bundesministerium für die finanzielle Unterstützung der Barrierefreiheit des LFT in Hannover die kopierten Personalausweise der Frauen mit Behinderung haben wollte.)

Doch noch ist das gesellschaftliche und damit auch oftmals das persönliche Verhältnis zwischen Lesben mit und ohne Behinderung nicht ausgeglichen.

Der lange Weg zur Barrierefreiheit

„Anderssein ist eine Erfahrung, mit der `behinderte´ Frauen immer und immer wieder konfrontiert sind. Nicht die Norm zu erfüllen und auch gar nicht zugetraut zu bekommen, die Norm erfüllen zu können, begleitet das Leben von Frauen mit `Behinderung´. Gesellt sich zu dieser Abweichung noch ein anderer Normbruch, wird es kompliziert. Von diesen Kompliziertheiten im positiven wie im negativen Sinn soll im Folgenden die Rede sein: Krüppel-Lesben.

Krüppel-Lesben, das sind `behinderte´ Frauen, die gerne mit Frauen reden, die gerne mit Frauen weggehen, die gerne mit Frauen zusammen wohnen und die Frauen lieben. (…) Nicht alle nennen sich Krüppel-Lesben und manche von ihnen mögen diese Bezeichnung auch nicht. (…) Das ehemalige Schimpfwort `Krüppel´ haben wir uns genommen und es verheimlicht nicht, dass es trotz aller guten Vorsätze immer noch ein Machtgefälle zwischen `Behinderten´ und `Nichtbehinderten´ gibt. (…)
[Die] Hürden für Krüppel-Lesben, an lesbischer (Sub-)Kultur teilzuhaben, sind vielfältig. Es beginnt schon bei dem Zugang zu Informationsmaterial; kaum eine Ankündigung zum nächsten Lesben-Tanztee wird in Blindenschrift verteilt oder auf Kassette angeboten, kaum eine Werkstatt für behinderte Mädchen erhält regelmäßig das Programm des örtlichen FrauenLesben-Zentrums. Und selbst wenn, so befindet sich z.B. die Coming-Out-Gruppe im zweiten Stock oder der Vortrag über lesbische Liebe in den 20ger Jahren wird ganz sicher nicht in Gebärdensprache übersetzt. (…)
Aber neben diesen sichtbaren Barrieren gibt es noch die unsichtbaren, die Krüppel-Lesben von der Teilnahme abhalten. (…) Der Kult um schöne, muskulöse, ideale Körper findet auch unter Lesben statt. (…)
Vielleicht bietet das ständige Auffallen und Anderssein durch die `Behinderung´ aber auch eine Chance. Wenn die Welt mich ohnehin schon für nicht ganz normal hält, dann kann ich auch noch lesbisch sein. Und dadurch, dass `behinderte´ Frauen häufig sowieso nicht als Personen mit Sexualität wahrgenommen werden, sind sich auch weniger gesellschaftlichen Rollenerwartungen wie zum Beispiel der Heterosexualität unterworfen.(…)“

[aus: Gesa Teichert: Das Leben als Krüppel-Lesbe. In: Einmischen – Mitmischen. Berlin 2003, S. 96f.].

Situation in der Gesundheitsversorgung

Die Diskussion, welche Themen für Frauen mit und ohne Behinderung als lesbische Nutzerinnen / Patientinnen in der Gesundheitsversorgung im Vordergrund stehen, hat gerade erst begonnen.

Die Erfahrungen von Lesben mit Behinderungen mit/in der medizinischen Versorgung unterscheiden sich wesentlich von den Erfahrungen, die Lesben ohne Behinderung machen.
Die medizinischen Diskurse sind nicht unwesentlich daran beteiligt, eine Körpernorm herzustellen, an der Frauen gemessen werden. Und für Frauen, die der Norm nicht entsprechen, werden Möglichkeiten bereit gehalten, ihre „Abweichung“ zumindest unauffälliger zu gestalten.
Dazu kommt die im obigen Zitat angesprochene Unsichtbarkeit von Frauen mit Behinderung als sexuell selbstbestimmte Frauen. Gesa Teichert interpretiert dies als Vorteil, keinen heterosexuellen Rollenerwartungen genügen zu müssen. Negativ gesehen kann dies aber auch eine doppelte Hürde bedeuten, als Lesbe mit Behinderung wahrgenommen zu werden. Zudem fehlen in dieser Betrachtungsweise diejenigen Mädchen und Frauen, die aufgrund von Variationen im Genitalbereich (z.B. angeborenes Fehlen einer Scheide) zahlreichen Operationen zur Herstellung einer sog. Neovagina unterzogen werden, um sie später zum „heterosexuellen Verkehr“ zu befähigen – die „Behinderung“ dieser Mädchen besteht ausschließlich darin, dass sie im späteren Leben anatomisch nicht zum vaginalen Geschlechtsverkehr in der Lage sein werden.
Insbesondere Frauen, die schon als Mädchen aufgrund einer Behinderung oft langfristig Kontakt zur medizinischen Versorgung hatten, verbindet eine Geschichte wiederholter Traumatisierung mit der Gesundheitsversorgung. Natürlich ist nicht jeder medizinische Eingriff Gewalt – viele Operationen oder andere Therapien sind sinnvoll und ohne Alternative. Trotzdem fehlt es oftmals an der Vermittlung von Respekt und Wertschätzung auch im Rahmen sinnvoller Therapien.

Finanzielle Barrieren

Auch bei anderen Gelegenheiten ist die Gesundheitsversorgung daran beteiligt, Frauen in ihren Möglichkeiten zu „behindern“, wenn z.B. Krankengymnastik nach den aktuellen Reformen im Gesundheitswesen nicht mehr als Dauertherapie übernommen wird oder die Pflegeversicherung nicht zahlt. Dazu kommen die Verminderung der Fahrdienste, die Einschränkung der freien Wohnortwahl durch Zwangsunterbringung in Heimen, Verweigerung von Assistenz etc.
Die sog. Einsparungen im Gesundheitswesen betreffen Frauen unterschiedlich – und sie treffen marginalisierte Gruppen wie Lesben und Frauen/Lesben mit Behinderungen härter als gesellschaftliche Gruppen, die über mehr gesellschaftliche, persönliche und finanzielle Ressourcen verfügen.

Kontroversen um Reproduktionsmedizin und Schwangerschaften

Ein Spannungsfeld in der „lesbeninternen“ Diskussion stellt mitunter die Debatte um die Reproduktionsmedizin dar. Während einige Lesben mit Kinderwunsch freien Zugang zur Reproduktionsmedizin für sich fordern, kritisieren andere die „Behindertenfeindlichkeit“ dieser Techniken, insbesondere der Präimplantations- und Pränataldiagnostik in Kombination mit der sog. Spätabtreibung mutmaßlich behinderter Föten. Kinder mit angeborener Behinderung werden gesellschaftlich zunehmend als vermeidbar angesehen – und sollen gemäß breiter gesellschaftlicher Meinung vermieden werden, bringen die Kritikerinnen vor. In einer Befragung haben übrigens auch 40 % aller werdenden Eltern gesagt, dass sie die Schwangerschaft abbrechen lassen würden, wenn sie sicher wüssten, dass ihr Kind homosexuell wird. Doch im Gegensatz zu manch anderen Variationen lässt sich ein „Homogen“ in der Pränataldiagnostik nicht nachweisen…